»Gestatten, mein Name ist … Petrus« – Predigt zum 2. Sonntag der Sommerkirche
Gestatten, mein Name ist – nein, nicht Petrus. Alle nennen mich zwar so und ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt, aber ich heiße eigentlich Simon. Simon, Sohn des Johannes.Ich komme aus einem kleinen Dorf, einem Kaff am Ufer eines Sees im Norden von Syrien-Palästina, einer Provinz des römischen Reiches. Dort lebte ich mit meiner Frau und verdiente wie mein Bruder Andreas, wie so viele Männer in diesem Ort, meinen Lebensunterhalt damit, dass wir Barsche aus dem See fischen und verkaufen.
Petrus! Wie käme ich dazu, mich selbst so zu nennen? Sie wissen, was der Name bedeutet? „Der Stein“, manche sagen auch „der Felsen“. Das ist ein Beiname, ein Titel, eine Aufgabenbeschreibung. Das legt man sich nicht selber zu.
Ich will Ihnen sagen, wie es dazu gekommen ist: Eines Tages kam ein Mann in unser Dorf, ein Handwerker so wie ich und sagte, wir sollten alles hinter uns lassen, es gäbe eine größere, weit wichtigere Aufgabe für uns. Er sagte, wir sollten lieber Menschen fischen und ihnen erzählen, dass Gottes gute Herrschaft beginnt, und zwar jetzt! Indem Menschen einander wahrnehmen,die Not des anderen sehen und lindern helfen, indem sie lieben, wird sichtbar, wie Gott das Leben gemeint hat. Er sagte, dass Verzeihen Versöhnung bewirkt und dass deshalb auch aus Feinden Freunde werden können. Wenn man andere nicht ausgrenzt, sondern inklusiv handelt, dann wird wahr, was versprochen ist – eine neue Erde, die schon jetzt etwas Himmlisches hat. So redete er und so tat er es auch.
Was soll ich sagen? Er hat mich überzeugt. Mich, Andreas, meine Freunde Jakobus und Johannes und andere. Wir sind ihm gefolgt und eines Tages sagte er zu mir: Simon, du bist Petrus, der Stein. Mit dir will ich diese Gemeinschaft bauen. Seitdem heiße ich also so. Gestatten, mein Name ist Simon, genannt Petrus.
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Liebe Gemeinde!
Hier beende ich erst einmal die fiktive Selbstvorstellung dieses Jüngers, der Jesus offensichtlich ganz besonders nahegestanden hat.
Die erste Kirche Osnabrücks, der wunderschöne Dom ist nach ihm benannt. Mit ihm beginnt die Geschichte dieser kleinen Furt an der Hase und ihr Aufstieg zu einer quirligen Stadt, die heute über 160000 Einwohner zählt. Als Karl der Große am Ende des 8. Jahrhunderts hier ein Bistum gründen ließ, gehörte dazu selbstverständlich auch ein Gotteshaus inklusive angrenzender Ausbildungsstätte für die Priester und Mönche, dem heute städtischen Carolinum.
Da ich seit langer Zeit an dieser ältesten Schule Deutschlands (wie wir oft sehr unbescheiden sagen) tätig bin, lag es für mich nahe, Peters Kirche für unsere Reihe über die Namen der Innenstadtkirchen zu wählen, gehe ich doch täglich an ihr vorbei und habe schon viele Gottesdienste mit unserer Schule in ihr feiern dürfen.
Im Text aus dem Johannesevangelium, den ich Ihnen auslegen möchte, erscheint Jesus nach seiner Auferstehung erscheint sieben Jüngern nach seiner Auferstehung am See Genezareth und führt mit Petrus ein eindringliches Gespräch:
Johannes 21, 1–19 [1–14 gekürzt]
Danach zeigte sich Jesus den Jüngern noch einmal, am See …
Simon Petrus und Thomas … , Natanael und die Söhne des Zebedäus und zwei andere von seinen Jüngern waren beisammen.
Simon Petrus sagt zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sagen zu ihm: Wir kommen auch mit dir. Sie gingen hinaus und stiegen ins Boot und fingen nichts in jener Nacht.
Als es aber schon gegen Morgen ging, trat Jesus ans Ufer; die Jünger wussten aber nicht, dass es Jesus war. Da sagt Jesus zu ihnen: Kinder, ihr habt wohl keinen Fisch zum Essen? Sie antworteten ihm: Nein.
„Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus, und ihr werdet einen guten Fang machen“. Da warfen sie es aus, und vor lauter Fischen vermochten sie es nicht mehr einzuziehen …
Als sie nun an Land kamen, sahen sie ein Kohlenfeuer am Boden und Fisch darauf liegen und Brot.
Jesus sagt zu ihnen: Kommt und esst … und nimmt das Brot und gibt es ihnen, und ebenso den Fisch.
Als sie nun gegessen haben, sagt Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr, als diese mich lieben? Er sagt zu ihm: Ja, Herr, du weisst, dass ich dich lieb habe. Er sagt zu ihm: Weide meine Lämmer!
Und er sagt ein zweites Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich? Der sagt zu ihm: Ja, Herr, du weisst, dass ich dich lieb habe. Er sagt zu ihm: Hüte meine Schafe!
Er sagt zum dritten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und er sagt zu ihm: Herr, du weisst alles, du merkst doch, dass ich dich lieb habe. Jesus sagt zu ihm: Weide meine Schafe!
Amen, amen, ich sage dir: Als du jünger warst, hast du dich selber gegürtet und bist gegangen, wohin du wolltest. Wenn du aber älter wirst, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wohin du nicht willst.
Das aber sagte er, um anzudeuten, durch welchen Tod er Gott verherrlichen werde. Und nachdem er dies gesagt hatte, sagte er zu ihm: Folge mir!
Es scheint wieder alles bei Null zu stehen. Wir sind wieder am See Genezareth. Da, wo alles begann. Petrus und die anderen gehen ihrer ursprünglichen Tätigkeit nach, man fischt wieder Barsche statt Menschen – ziemlich erfolglos, Alltag ist eingekehrt. Die aufwühlenden Ereignisse, die sich in Jerusalem ereignet haben, scheinen lange zurückzuliegen. Es ist fast, als haben sie niemals stattgefunden.
Man spürt in diesen Passagen die Erfahrungen eines Erzählers der zweiten und dritten Generation: Der Ruf in die Nachfolge, der anfangs offensichtlich so unwiderstehlich war, hat nachgelassen. Es ist wieder „business as usual“.
Die großen Hoffnungen haben der Ernüchterung Platz gemacht: Man muss sich wieder einrichten, muss in der real existierenden Welt mit ihren Notwendigkeiten seinen Job machen – sich um das eigene Leben kümmern. Man muss sich wieder damit arrangieren, dass die großen Aufbrüche nicht so stattgefunden haben wie erwartet, der große Friede, die große Versöhnung, das große Heil gleich, sofort und stantepe – nein, so simpel ist das Leben nicht.
Alles wie immer! Tröstlich, dass schon die Bibel diese Perspektive kennt, die uns so bekannt vorkommt. Was bleibt am Montag, von dem, was wir sonntags hören an Zuspruch? Was bleibt vom guten Vorsatz, den wir vielleicht fassen, die Welt im neuen Licht zu sehen. Oft ja herzlich wenig. Der Trott, die Nachrichten, die negativen Erfahrungen reiben die Hoffnung auf und verschleißen den Elan.
Doch urplötzlich taucht der Auferstandene wieder auf, spricht einen an, und Menschen hören erneut seinen Ruf. Wie früher lässt er die erfolglos heimgekehrten Fischer wieder die Netze auswerfen, die prall gefüllt wieder eingezogen werden. Wie früher isst man miteinander Brot und Fisch. Wie früher erhält Petrus einen Auftrag.
Petrus und seine Freunde haben ein Deja vú: Der Erzähler lässt sie erneut erleben, was sich augenscheinlich schon einmal abgespielt hat – aber unter anderen Vorzeichen.
Alles wie immer? Eben doch nicht!
Man ist mittlerweile gesättigt von Erfahrungen, ist reifer geworden, hat Einsicht gewonnen in die eigenen Unzulänglichkeiten, man kennt seine Grenzen. Man weiß mehr von sich und man weiß mehr von der Welt, hat ihre Bosheiten und Abgründe kennengelernt und wie kläglich man an ihnen scheitern kann – auch mit dem festesten Vorsatz.
„Petrus, hast du mich mehr lieb als die anderen hier?“
Ein jüngerer Petrus hätte hier ungestüm „Ja“ gesagt. „Herr, wie kannst du daran zweifeln, selbstverständlich tue ich das, du bist doch Christus, der Messias Gottes“.
Der reifer gewordene Petrus sagt kleinlaut: Du weißt, dass ich dich lieb habe. Sein früheres Versagen steht ihm vor Augen. Wie wankelmütig er doch gewesen war: Manchmal war sein Zutrauen unerschütterlich und bald beschlichen ihn die Zweifel, so dass man in den Untiefen versank, über die man eben noch gehen konnte.
Und dann in Jerusalem: Stein und Bein hatte er Jesus Treue gelobt und dann, als es hart auf hart ging, behauptet, ihn nicht zu kennen. Über Jesus wurde das Todesurteil gesprochen und er hatte gekniffen. Seit diesem Tag hat der Hahn in seinem Gewissen nie mehr aufgehört zu krähen. Wie könnte ausgerechnet er so vermessen sein und behaupten, dass er ihn mehr lieben könne, als andere es tun?
Petrus kennt sich besser als früher. Sturm und Drang sind vorüber. Das Grün hinter den Ohren ist ab. Das Leben hat ihn eine intensive Selbsterfahrung beschert und die Erkenntnis: Man ist halt auch nur ein Mensch wie jeder andere.
Die Frage „Hast du mich lieber“ hat den wunden Punkt genau getroffen, hat ihm noch einmal klargemacht, dass er, der eifrigste von allen Jüngern, keinen Deut besser ist als andere. Gerade weil man glaubte, der Mutigste von allen zu sein, schmerzt diese Erkenntnis nun doppelt.
Dreimal vollzieht der Auferstandene an ihm diese heilsame Therapie (H. Thyen) und fragt Petrus nach seiner Liebe. Er begreift es wohl, dass es mit seiner Freundschaft und seinem Glauben nicht immer ganz weit her war, und dann, aber erst dann bekommt er erneut den Auftrag (mit schöner Steigerung): „Weide meine Lämmer, hüte meine Schafe! Und zum Schluss heißt es wie einstmals: Folge mir!
***
Gestatten, mein Name ist Petrus, der Mann, den man Fels nennt.
Ich bin ein merkwürdiger Fels. Ich habe auf die harte Tour meine Lektionen lernen müssen. Ich bin eingetaucht in das Leben mit all seinen Tiefen. Und ich bin ganz tief gesunken in die Abgründe meiner Seele.
Nur jemandem, der weiß, wie widersprüchlich, wie verletzlich und schwach Menschen sind, konnte mein Herr wohl den Auftrag geben sich um andere zu kümmern. Erst derjenige, der solche Erfahrungen am eigenen Leib gemacht hat, lernt wirklich lieben. Jemand, der selbst für tadellos hält, kann das nicht begreifen. Nur wer selber schwach war, kann verstehen, was es heißt, Hilfe zu erfahren. Nur so jemand weiß, wie nötig man auf das Verzeihen angewiesen ist und auf Gnade vor Recht.
Ich habe verstanden: Genau solche Steine braucht er, um anderen zu begegnen. Keine Superhelden, sondern Menschen. Keine Schwärmer, sondern Realisten. Aber Realisten mit Liebe und einer festen Hoffnung im Herzen.
Was Jesus über Gott sagte, der vergibt und trotz unser Unzulänglichkeiten mit uns neu anfangen und weitergehen und in dieser Welt wirken will, habe ich erst da richtig begriffen.
Ich habe mich in dieses Vertrauen geworfen, seit ich am eigenen Leib gespürt habe, wie er mir unzuverlässigem Fähnlein im Wind entgegengekommen ist. Seitdem hat mich sein Ruf nicht mehr losgelassen und bin zum zweiten Mal losgegangen. Mit demselben Glauben, dass diese Welt in Gottes Hand steht, aber mit mehr Milde, mehr Zuneigung zu den Menschen, mit mehr Liebe.
Manchmal plagt mich die Ungeduld, es möchte schneller gehen, bis jeder Gottes Güte erfährt und jeder menschenwürdig lebt auf Gottes Erde. Ich werfe mich täglich neu in dieses Vertrauen.
Ich glaube, wir gleichen uns. Sie und ich. Mit unseren menschlichen Ängsten und mit unserer Sehnsucht, dass Gott die Angst überwindet. Jesus braucht mehr als einen Stein, einen Felsen.
Denken Sie an mich, wenn sie irgendwo einen Hahn auf einem Kirchturm sehen oder in ein Gotteshaus gehen, das meinen Namen trägt.
Seien Sie Petrus, seien sie Petra, lebendige Steine auf dem Fundament unserer Herrn Jesus Christus. In ihm ist Vergebung Wirklichkeit geworden. Hoffnung ist nicht nur ein Wort geblieben. Das Leben ist stärker als der Tod.
Werfen Sie sich in dieses Zutrauen!
Amen.
Pastor Klaus Schagon
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