»Gestatten, mein Name ist … Frieden« – Predigt zum 5. Sonntag der Sommerkirche
Christus ist unser Friede (Epheser 2,14)
Liebe Gemeinde,
Frieden: Im Epheserbrief geht es zuallererst um die Versöhnung zwischen Gott und uns Menschen in Christus: Dass wir nicht in der Gottesferne und manchmal Gottesfeindschaft steckenbleiben, dass wir auch nicht himmels-stürmerisch „so sein wollen wie Gott“ und uns daran überheben. Nein, Friede soll sein zwischen Gott und den Menschen, zwischen Himmel und Erde. Dafür steht Christus ein, der Mensch gewordene Gott. Er ist unser Friede. Und das hat Auswirkungen.
„Nun soll es werden Friede auf Erden“ – so singen wir Weihnachten. Und der Jesus der Bergpredigt preist die Friedensstifter selig. Christus ist unser Friede – und er ermutigt uns zum Frieden-Machen.
Das ist eine große Aufgabe angesichts von so viel Unfrieden, Krieg und Gewalt in der Welt. Manche resignieren vor der Aufgabe. Finden das zu anspruchsvoll, zu anstrengend, gar utopisch. Aber seltsamerweise lassen sich immer wieder Menschen anstecken von der Hoffnung auf Frieden. Manchmal in aussichtslos scheinender Lage. Mitten im Krieg setzen sie Zeichen von Versöhnung. Gegen die Gewalt halten sie die andere Backe hin. Und manche, wie die vier in Lübeck in der Nazi-Zeit, werden zu Märtyrern. Sie wissen: Wir machen’s ja nicht. Gottes Friede ist größer als unser kleines Bemühen. Und auch wenn wir unterliegen: Christus ist und bleibt unser Friede und die Friedenshoffnung für die Welt.
Von einem aus unserer Gemeinde will ich erzählen: Anton Knoop. Wohl auch von seiner Frau muss berichtet werden, aber dazu sind die Quellen rar. Es waren die Männer, die damals erzählt und aufgeschrieben haben, was da geschah in der Friedenskirche in den 1940er Jahren.
Es ist die Geschichte von einem, der mitten im Krieg das an Friedensarbeit tat, was ihm möglich war – weil er es als Aufgabe sah, die Gott ihm und niemand anderem gegeben hatte. Vielleicht hat ihn auch die Inschrift über der Kanzel der Friedenskirche dazu ermutigt: Christus ist unser Friede. Das stand seit den ersten Tagen dort, und zur Wiedereinweihung 1951 wurde es noch größer geschrieben. So steht es heute noch da und möchte uns Anstöße geben. Von Anton Knoop will ich erzählen – es ist die Geschichte von einem, der nicht sagte: „Da kann man ja doch nichts machen“, sondern der engagiert und mit Zivilcourage schlicht das Notwendige tat. Es ist die Geschichte von einem, dem sein Bekenntnis, sein Glaube wichtiger war als die menschengesetzten Ordnungen und Verbote der Nazis.
Anton Knoop, Jahrgang 1901, stammte aus Neuenhaus in der Grafschaft Bentheim, und er nahm eine weltzugewandte reformierte Frömmigkeit aus seiner Heimat mit nach Osnabrück. Eigentlich hatte er Theologie studieren wollen, aber der 1. Weltkrieg versperrte ihm diesen Weg. Er wurde Kaufmann und von 1924–1945 reiste er als Vertreter („Reisender“) einer Osnabrücker Firma durch Nordwestdeutschland. Und immer weiter studierte er selbst und mit Freunden in der Bibel, lernte Griechisch, machte oft unterwegs Station in Pfarrhäusern und bei Theologieprofessoren – so bildete er sich fort und wurde das, was man bei uns „Ältestenprediger“ nennt.
Und dann legte ihm Gott seine Aufgabe vor die Füße: Ab 1942 kamen in Osnabrück viele Zwangsarbeiter aus den Niederlanden an, verschleppt von der Straße weg für die Sklavenarbeit in Deutschland. Einige von ihnen gingen – wie Anton Knoop – am Sonntagvormittag in den Gottesdienst in der Friedenskirche, Hervormde oder Gereformeerde, die sie waren. Sonntags war frei von der Schufterei Montag bis Samstag. Fromme Menschen waren sie – aber in der Kirche des Wortes doch fremd im deutschen, deutschsprachigen Gottesdienst.
Anton Knoop, der ein wenig Niederländisch sprach, stand mit ihnen nach dem Gottesdienst an der Kirchentür zusammen. Ein Gottesdienst in niederländischer Sprache wäre gut! Und er nahm das als seine Aufgabe an: Wir laden ein zu Gottesdiensten in niederländischer Sprache, sonntagnachmittags in der Friedenskirche, jeden Sonntag.
Und so ging es los: Ein Organist fand sich unter den Niederländern, wie es mit der Gottesdienstordnung ging, dazu ist nichts berichtet, aber da werden sie sich „reformiert-interkulturell“ abgesprochen haben.
Knoops Niederländisch war nicht so gut, er legte also das Griechisch des Neuen Testaments zur Seite und lernte intensiv die Sprache der Nachbarn (und wartete nicht darauf, dass die endlich Deutsch lernten – das nur als Anmerkung für uns Heutige!).
Knoop predigte abwechselnd mit den Herren Keizer und Vinck, zum Teil mit eingeschmuggelten niederländischen Lesepredigten – und die Niederländer waren beeindruckt vor allem davon, dass ein Deutscher sich diese Mühe machte! Herr Keizer schrieb nach dem Krieg: „Anton Knoop verneinte vollkommen das Hitler-Regime und was damit zusammenhing.“ Und diese Verneinung machte er deutlich.
Dazu drei Geschichten:
Erstens: In der Friedenskirche wurde bald eine „Niederländische christliche Gemeinde Osnabrück“ gegründet, mit Kirchenratssitzungen jeden Dienstagabend bei Knoops zuhause (und hier wird von Frau Knoop berichtet, dass sie es immer sehr „gezellig“ gemacht habe, „obwohl sie kein Holländisch verstand“). Anton Knoop, Deutscher, der er war, sorgte dafür, dass sogar Briefpapier dieser Gemeinde gedruckt wurde! Spannend übrigens, dass da von Konfession nicht die Rede war: „Christliche Gemeinde“.
Zweitens: Eine solche Organisation fiel natürlich den Behörden auf und wurde bald verboten. Aber man traf sich weiter zu Hause bei Knoops. Was für einen Mut die hatten, seine Frau und er! Aber das war doch wichtig: Gottes Wort als Stärkung gegen die Herren dieser Welt – und natürlich gut niederländisch auch „Geselligkeit“.
Drittens: Die Nazis hatten augenscheinlich Menschen nötig, die Niederländisch sprachen. Anton Knoop wurde von den Behörden verpflichtet, unter den Niederländern für eine „freiwillige“ Mitgliedschaft in der „Germanischen SS“ zu werben. Er ließ alle antreten und fragte einen nach dem anderen. Und ein Niederländer berichtet: „Das hätten wir uns nicht träumen lassen. Anstatt uns aufzumuntern, uns bei der SS zu melden, sagte der Herr: Kein Interesse dafür, was? Nein, das dachte ich mir gleich. Aber du kommst wohl schon mal zu unseren holländischen Gottesdiensten, mein Freund? Die sind wirklich schön und gesellig!“ Und der Berichterstatter fügt hinzu: „So war nun einmal Bruder Knoop.“
Nun will ich keine Heiligenlegenden stricken, aber doch darauf hinweisen, dass in der Nazi-Zeit mehr möglich war als das, was manche stumpf als Entschuldigung für ihre Untaten vorbrachten: „Wenn ich nicht mitgemacht hätte, wäre ich im KZ gelandet.“ Anton Knoop und seine Frau haben die Nazi-Zeit unbeschadet überstanden – und er ist später von der westfälischen Kirche in den Pfarrdienst übernommen worden, war dann Pfarrer an der neu gebauten Friedenskirche in Büren. Er starb 1970 als Pfarrer i.R. hier in Osnabrück.
Die Friedenskirche, seine alte Kirche, die Kirche auch der Zwangsarbeiter aus den Niederlanden, wurde im Krieg zerstört, sie brannte völlig aus. Ihr Programm von damals, gegen die Schrecken des 1.Weltkriegs vom Frieden zu zeugen, war augenscheinlich gescheitert.
Und dann geschah wieder ein Wunder von Frieden und Versöhnung: In den Niederlanden war augenscheinlich die Osnabrücker Zwangsarbeitergemeinde zur Legende geworden. Königin Wilhelmina, die 1948 zugunsten ihrer Tochter Juliana abgedankt hatte, organisierte gründliche Wiederaufbauhilfe für die Friedenskirche und schickte als (dann) Königinmutter zur Wiedereröffnung1951 den Hofprediger mit einem persönlichen Grußwort:
„Am Tage der Einweihung Ihrer neuerbauten Friedenskirche drängt es mich, im dankbaren Gedenken für alles, was Ihre Gemeinde während des Krieges für unsere nach dort verpflichteten Landsleute getan hat, herzlich zu danken. Möge Gottes Segen auf Ihrem Werk ruhen.“
Wir Deutschen tun gut daran, die Versöhnung mit den Niederländern nicht als selbstverständlich, sondern auch als ein Ergebnis solcher Geschichten aus Gottes Hand zu nehmen. Wie gut, dass wir als Stadt und als Gemeinde seit Jahren die Freundschaft mit den Haarlemern haben. Wie gut, dass wir gemeinsam mit ihnen auch Ausschau halten nach den heute wichtigen Themen von Frieden und Versöhnung in der Welt.
Mir geht es bei der Geschichte von Anton Knoop nicht um Nostalgie. Er war ein mutiger Zeuge dessen, was er in seiner Friedenskirche immer vor Augen hatte: „Christus ist unser Friede“.
Das bleibt uns Vergewisserung und Auftrag. Vergewisserung: Weil niemand den Frieden, den Gott schafft in Christus, ins Utopische verabschieden kann. Auftrag: Weil Christus uns hineinnehmen will in seinen Friedensdienst. Und der sieht immer neu und aktuell aus. In der Friedenskirche gibt es zurzeit einen Deutschkurs für Flüchtlinge – auch das ist Friedensarbeit.
Und von Anton Knoop nehme ich mit: Was Gott mir vor die Füße legt, das soll ich auch annehmen als meine ganz besondere Aufgabe. Groß oder klein – egal.
Aber hinhören ist gut. Auf die Zusage und auf den Auftrag: Christus ist unser Friede.
Amen.
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