»Glücksmomente in Korinth« – Predigt zum 3. Sonntag der Sommerkirche 2019
In der Predigtreihe über „Glücksmomente in der Bibel“ predigte Pastor Tom Herter (Freie Evangelische Gemeinde) am 21. Juli 2019 über „Glücksmomente in Korinth“.
Lesung 1. Korinther 12,12–27
Denn wie der Leib einer ist und hat doch viele Glieder, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, doch ein Leib sind: so auch Christus.
Denn wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft, wir seien Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geist getränkt.
Denn auch der Leib ist nicht ein Glied, sondern viele.
Wenn nun der Fuß spräche: Ich bin keine Hand, darum gehöre ich nicht zum Leib!, gehört er deshalb etwa nicht zum Leib?
Und wenn das Ohr spräche: Ich bin kein Auge, darum gehöre ich nicht zum Leib!, gehört es deshalb etwa nicht zum Leib?
Wenn der ganze Leib Auge wäre, wo bliebe das Gehör? Wenn er ganz Gehör wäre, wo bliebe der Geruch?
Nun aber hat Gott die Glieder eingesetzt, ein jedes von ihnen im Leib, so wie er gewollt hat.
Wenn aber alle Glieder ein Glied wären, wo bliebe der Leib?
Nun aber sind es viele Glieder, aber der Leib ist einer.
Das Auge kann nicht sagen zu der Hand: Ich brauche dich nicht; oder wiederum das Haupt zu den Füßen: Ich brauche euch nicht.
Vielmehr sind die Glieder des Leibes, die uns schwächer erscheinen, die nötigsten;
und die uns weniger ehrbar erscheinen, die umkleiden wir mit besonderer Ehre; und die wenig ansehnlich sind, haben bei uns besonderes Ansehen;
denn was an uns ansehnlich ist, bedarf dessen nicht. Aber Gott hat den Leib zusammengefügt und dem geringeren Glied höhere Ehre gegeben,
auf dass im Leib keine Spaltung sei, sondern die Glieder einträchtig füreinander sorgen.
Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit.
Ihr aber seid der Leib Christi und jeder Einzelne ein Glied.
Wir vollziehen einen kleinen Ortswechsel. Raus aus der Wüste in Osnabrück, rein ins Getümmel nach Korinth. Korinth, ca. 50 nach Christus. Während wir auf der Straße stehen, steigt uns eine wilde Duftmischung in die Nase. Vor uns viele Waren aus den unterschiedlichen Regionen. Fisch, Gewürze, Getreide. Wir müssen ein wenig zur Seite treten. Es sind viele Menschen um uns herum. Wir machen ihnen Platz, weichen ihnen aus. Sie arbeiten, handeln, verkaufen. Sie suchen ihren Tempel, ihre Gebetsstädte, ihr Rathaus. Es herrscht großes Treiben. Wir drehen uns um und wundern uns, dass plötzlich dutzende Männer, sie sehen nach viel Arbeit aus, ein Schiff über die Straße ziehen. Wir treten einen Schritt zurück, um nicht im Weg zu stehen. Korinth war eine der wenigen Städte mit zwei Häfen, es lag an einer Landenge. Schiffe wurden aus dem Hafenbecken gehoben, über die Straße gezogen, die erst viel später durch einen Kanal ersetzt wurde. So konnte man sich weite Seestrecken sparen. Im korinthischen Treiben begegnen uns Hafenarbeiter, die Schiffe beladen und entladen, die Lasten transportieren, Sklaven, die für ihre Herren arbeiten, für Handelsleute. Um uns herum sehen wir sehr, sehr reiche Menschen. Sie tragen feine Kleidung, rote Mäntel, haben Leute um sich herum, die ihnen Essen reichen, die ihnen den Mantel hochhalten. Sie scheinen hier von dieser großen Wirtschaftskraft zu profitieren. Vermutlich diejenigen, denen die Häfen gehören, die Sklaven für sich arbeiten lassen, die Land innehaben. Korinth ist als Provinzhauptstadt des römischen Reiches ein politisches Zentrum. Hier werden Entscheidungen getroffen, Politik gemacht. Und zugleich Epizentrum der unterschiedlichen Religionen. Tempel und Gebetsstädten, wohin das Auge sieht. Jeder Gott und jede Göttin kommen hier auf ihre Kosten.
Korinth, am Anfang des ersten Jahrtausends, ein Schmelztiegel der Kulturen, eine Ansammlung an Religionen, die soziale Unterschiede kannst du auf der Straße förmlich mit Händen greifen.
Und dann gehen wir von der Straße in ein Haus. Es hat ein großes Zimmer, in dem sich viele Menschen aufhalten, sicher 30–40 Leute, eng aneinander stehend. Die Vielfalt, die eben noch auf der Straße herrschte, entdecken wir hier plötzlich wieder. Hafenarbeiter und Hafenbesitzer, Politiker und Kaufleute, Leute aus Griechenland, Römer, Israeliten und sogar Ägypter. An ihren Kleidern erkennst du sofort, wo sie herkommen. Alle in diesem Haus. Während wir uns umschauen, stellen wir fest: Wir sind in der ersten Gemeinde in Korinth. In der Gemeinde in Korinth kommen diese unterschiedlichen Menschen zusammen, es ist ein Abbild der Gesellschaft da draußen auf den Straßen. Paulus hatte die Gemeinde vor ein paar Jahren gegründet. Sie hat sich entwickelt, Menschen sind dazu gekommen, neue Fragen sind entstanden. Aber eins ist geblieben: das bunte Bild an Leuten, die sich hier versammeln. Ein Haufen Leute, wie man sie auf der Straße sieht, die erstmal so komplett unterschiedlich sind.
Und dann steht eine Frau auf und liest einen Brief vor. Alle sind schon ganz aufgeregt, weil sie hörten, dass sich der gute Paulus wieder gemeldet hat. Lesen können nur ganz wenige, aber zuhören können fast alle. Und es erklingen diese Worte:
Denn wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft, wir seien Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geist getränkt.
Alle wie sie dort stehen, zu einem Leib getauft. Hineingetauft in den Leib. Ob Juden, Griechen, Sklaven oder Freie. Frauen oder Männer, alle wie sie dort stehen, gehören sie zu dem einen Leib. Sie schauen sich ein wenig verwirrt um. Der Sklave blickt auf den Mann neben sich. Er kennt ihn gut. Sehr gut sogar, denn er ist sein Besitzer. Die beiden sollen zu einem Leib gehören? Der Grieche sieht auf den Juden. Ihre Weltbilder so verschieden wie Tag und Nacht. Die beiden gehören zu einem Leib? Wie kann das sein? Wer oder was soll diese beiden verbinden? Und die Frau liest weiter. Auch das ist ungewöhnlich hier. Paulus meinte, Frauen sollen sich ruhig verhalten, die Gemeinde sei schon auffällig genug. Doch wenn Paulus sich ernst nehmen würde, müsste er erkennen, dass Frauen genauso zu dem Leib dazugehören.
Sie liest davon, dass der Fuß zum Leib gehört wie die Hand; das Ohr wie das Auge; das Auge wie die Nase. Die Zuhörer um uns herum mögen diesen Brief. Es klingt wie eine Fabel. Eine Fabel, in der die Körperteile reden können. Die Gebildeten unter den Zuhörern, kennen schon eine ähnliche Fabel, die etwas älter war. In Rom hatte man sie vor 70 Jahren das erste Mal erzählt. In dieser anderen Fabel konnten die Körperteile auch reden. Alle Glieder beschwerten sich, dass der Magen ja nur faul rum lungern würde und aufs Essen wartet und nichts zum Körper beiträgt. Irgendwann erkannten die anderen Körperteile, dass auch der Magen eine wichtige Funktion hat. Diese Geschichte wurde damals erzählt, um das Volk zu besänftigen. Um die Macht der Oberen zu sichern. Um die Krieger bei Laune zu halten und für die Mächtigen zu kämpfen. In der alten Fabel ging es um Machterhalt, um Unterordnung.
Doch bei Paulus ist das anders. Die Gebildeten sind verwundert, denn plötzlich geht es um so etwas wie Zusammenhalt, um Solidarität.
Die Frau liest: „Das Auge kann nicht zu der Hand sagen, ich brauche dich nicht. Vielmehr sind die Glieder des Leibes, die uns die schwächsten zu sein scheinen, die nötigsten.“
Die Reichen schauen ungläubig zu den Armen, die Israeliten zweifelnd zu den Griechen. Der Sklavenbesitzer wirft einen Blick zu seinem Sklaven und zwinkert ihm zu. Das, was Paulus hier schreibt ist eine Herausforderung, fast schon eine Zumutung. Alle diese Leute, ein Leib. Und dann ist es nicht mal nur ein Vergleich. Paulus sagt sogar: Ihr seid der Leib Christi. Krass, was die Frau da vorliest. Paulus identifiziert diesen bunten Haufen Leute mit dem Leib Christ. So wie viele Organe ein Organismus bilden, so bildet dieser Haufen Leute den Leib Christi.
Und wenn wir uns dann so umschauen, stellen wir fest, sind in diesem Leib die Unterschiede nicht einfach beseitigt. Es sind nicht plötzlich alle reich, nicht alle leben plötzlich dieselbe Kultur. Nicht mal die Meinungsverschiedenheiten sind einfach weg. Die Pointe ist im Raum mit Händen zu greifen: Gerade mit ihrer Unterschiedlichkeit, mit ihren Differenzen, mit den kulturellen, sozialen Hürden sind sie ein Leib – in Christus verbunden. Im Glauben geeint.
Und wir merken, das wirkt sich irgendwie aus. Es verändert diesen Haufen Leute. Die Frau liest es vor wie Paulus es ausdrückt: „Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit. Und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit.“ Durch Christus verbunden, ist dieser Haufen Leute nicht mehr eine Ansammlung von Individuen, sondern ein lebendiger Organismus, der seine Freude teilt, aber auch das Schwere gemeinsam trägt.“
Die Frau liest noch weiter, der Brief ist noch recht lang. Uns reicht es fürs erste. Erstaunt über das, was wir dort gehört und erlebt haben. Leib Christi. Dieser Haufen Leute. Verrückt.
Wir kommen zurück ins 21. Jahrhundert in die reformierte Gemeinde. Oder sagen wir zu unserem Haufen Leute hier. In dieser Sommerkirche, in dieser Themenreihe geht es um Glücksmomente. Und ich glaube hier haben wir einen zentralen Text des christlichen Glaubens, der einen Zugang zu einem glücklichen, erfüllten Leben aufzeigt. Die christliche Gemeinschaft. Oder wie es das apostolische Glaubensbekenntnis ausdrückt: Gemeinschaft der Heiligen.
Wenn ich an die „Gemeinschaft der Heiligen“ denke, dann denke ich an uns. An dich und mich, wie wir hier zusammen sind. Gemeinschaft der Heiligen ist dieser Haufen Leute, die hier in diesem Raum sitzen. Wir, die wir hier so sitzen. Männer und Frauen, Alte und Junge, Studierende, Auszubildende, Kinder, Eltern, Angestellte, Selbstständige, Kreative, Sachbearbeiter. Wir, Gemeinschaft der Heiligen, die wir auf den ersten Blick so ganz unheilig erscheinen, mit unseren Ecken und Kanten, mit unseren Sehnsüchten, Fragen, Sorgen. Mit unseren Fehlentscheidungen, Erfolgen, Lebensläufen. Wir, Gemeinschaft der Heiligen, nicht, weil die Kirche uns nach unserem Tod heiligspricht, nicht weil wir immer alles richtigmachen, nicht weil wir fehlerfrei leben, sondern weil wir zu Gott gehören. Das hat das Potential für Glücksmomente. Glücksmomente in denen du erfährst: Du bist nicht alleine. Du musst nicht alleine durchs Leben gehen. Du darfst dazugehören. Gemeinde ist ein Ort, ein Haufen Leute, Begegnungen, bei denen du dazugehören darfst. Nicht weil du die gleichen Interessen hast, wie alle anderen hier. Nicht weil du genauso aussiehst, wie alle anderen hier, sondern weil du zu Christus gehörst. Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft ist in erster Linie ein Geschenk, so wie Glaube ein Geschenk ist. In der Gemeinschaft der Heiligen bist du ein wichtiger Teil. So wie unsere Organe und Glieder wichtige Teile unseres Körpers sind. In dieser Gemeinschaft wirst du gebraucht. In dieser Gemeinschaft der Heiligen wind wir aufeinander angewiesen. Das Bild vom Leib macht das sehr deutlich. Gemeinschaft der Heiligen ist zuerst ein Geschenk, eine Gabe und dann immer auch Aufgabe. Glücksmomente in Korinth heißt also auch aufeinander angewiesen zu sein.
Zugegeben, weder in Korinth, noch sonst irgendwann in der Kirchengeschichte wurde diese Gemeinschaft der Heiligen vollkommen verwirklicht. Hundertprozentig glücklich war man wohl bisher noch nicht. Kirche bleibt immer auch eine Gemeinschaft von Sündern, von Schwachen, von Zerbrochenen. Ganz automatisch. Aber gleichzeitig haben wir dieses Bild vor Augen, dass wir durch Christus vereint sind. Dass wir eben nicht nur eine Ansammlung von Individuen sind, sondern aufeinander angewiesen, mehr als die Summe unserer Teile. Jesu Leib nimmt hier Gestalt an. Durch uns. Das ist eine verrückte Vorstellung. Eine Vorstellung die man nur glauben kann. Unsere Sicht auf die Wirklichkeit sieht oft anders aus. Denn nicht immer wird man gesehen, nicht immer werden die eigenen Bedürfnisse gestillt, nicht immer lebt der Leib so, wie man es sich selbst wünscht. Gemeinschaft der Heiligen zu sein ist immer auch ein Versuch.
Ein Versuch, den niemand allein leisten muss, das machen wir gemeinsam. Ihr hier, wir in der FeG, wir gemeinsam im Projekt:Friedenskirche, die anderen Kirchen hier und weltweit. Den wir auch nur gemeinsam wagen können. All diese Versuche haben das Potential Glücksmomente zu schaffen. Für uns und für Menschen um uns herum. Amen.
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